Offener Brief an die neue Vorsteherin des Bildungsdepartements

Offener Brief der Kantonalpartei

Sehr geehrte Frau Regierungsrätin

Die FDP des Kantons St.Gallen gratuliert Ihnen herzlich zu Ihrem neuen Amt als Vorsteherin des Bildungsdepartements des Kantons St.Gallen. Wir freuen uns auf die künftige Zusammenarbeit und wünschen Ihnen für die anstehenden Aufgaben viel Erfolg, Freude und Erfüllung.

Mit der Totalrevision des Volksschulgesetzes steht Ihnen gleich zu Beginn der Amtszeit eine grosse Herausforderung bevor. Für die FDP als Bildungspartei ist eine funktionierende, zukunftsgerichtete Volksschule eine Herzensangelegenheit. Bereits in den 1830er-Jahren führten die Liberalen in jenen Kantonen, in denen sie damals an die Macht gelangt sind, die unentgeltliche Volksschule für Mädchen und Knaben ein. Denn das liberale Erfolgsmodell setzt voraus, dass jeder und jede die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg haben soll. Das ist nur mit einer soliden Ausbildung möglich.

Die FDP sieht dieses Erfolgsmodell seit jüngster Zeit gefährdet. Ein grosser Teil der Schulkinder weist inzwischen Defizite bei den Basiskompetenzen auf. Fehlender Respekt im Schulzimmer, die zunehmende Bürokratisierung, Mobbing sowie der Lehrpersonenmangel gefährden zudem die Schulqualität. Die FDP möchte vor diesem Hintergrund die Gelegenheit nutzen, Ihnen ihre Überzeugungen und Erwartungen für die anstehende Totalrevision des Volksschulgesetzes in einem offenen Brief mit auf den Weg zu geben.

Schülerinnen und Schüler: Basiskompetenzen stärken!

Solide Basiskompetenzen sind der Schlüssel, um Chancengerechtigkeit sicherzustellen. Dem sicheren Gebrauch der deutschen Sprache in Wort und Schrift auf allen Stufen, den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) sowie der handwerklichen Grundbildung müssen hierzu wieder grössere Beachtung geschenkt werden. Klare Leistungsziele müssen gesetzt, beurteilt und hohe Qualitätsstandards sichergestellt werden. Eine Abschaffung der Kanti-Aufnahmeprüfung auf Raten lehnt die FDP beispielsweise ab (vgl. 61.24.09 Aufnahmeprüfung an das Gymnasium – Anpassungen werfen Fragen auf). Um einen optimalen Schulstart für alle Kinder zu ermöglichen, gilt es zusätzliche Massnahmen insbesondere in Bezug auf Kulturtechniken und Selbstregulation zu prüfen und einzuführen. Die Rolle der Eltern muss hierbei hervorgehoben werden, denn diese tragen die Erziehungsverantwortung. Eine zuverlässige und selektiv verbindliche Zusammenarbeit mit den Eltern ist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Schullaufbahn und Respekt im Schulzimmer. Um einen reibungslosen Übergang in die Berufsbildung sowie an die Mittelschulen zu gewährleisten, gilt es zudem die überfachlichen Kompetenzen zu stärken.

Lehrpersonen: Praxis und Unterricht statt Forschung und Bürokratie!

Die FDP ist überzeugt, dass Lehrpersonen primär Zeit für das Kerngeschäft Unterricht sowie die Erarbeitung grundlegender Bildungsinhalte benötigen. Die Qualität und das Engagement der Lehrpersonen sind wichtiger als Administration und Infrastruktur. Die finanziellen Mittel gilt es dementsprechend zu priorisieren. Ein gutes Umfeld, weniger Bürokratie, anständige Löhne und kompetente Schulleitungen ermöglichen eine bestmögliche Auftragserfüllung. Zentral dabei ist die Lehrpersonengrundbildung an der Pädagogischen Hochschule. Die Lehrpersonenbildung muss primär zum Ziel haben, junge Lehrpersonen bestmöglich auf den Unterrichtsalltag vorzubereiten. Hier gilt: Praxis vor Forschung (vgl. 51.24.02 Wird die PHSG den aktuellen Anforderungen gerecht?)! Weiterbildungsmöglichkeiten und eine höhere Gewichtung der Praxiserfahrung sollen den Lehrpersonen im Anschluss eine Berufslaufbahn mit Entwicklungsmöglichkeiten gewähren. Zudem muss ein verstärktes Augenmerk auf die Ausbildung der Schulleitungen gelegt werden. Es sind starke Führungspersönlichkeiten gefragt, die eine Schule aktiv mitgestalten und leiten können.

Verwaltung: Kernauftrag erfüllen, Entwicklung ermöglichen!

Mit Sorge blickt die FDP auf die zunehmende Bürokratisierung und Verwaltisierung im Bildungswesen. Doppelspurigkeit und eine hohe Verordnungsdichte bremsen die Weiterentwicklung unserer Schulen aus, gefährden den Schweizer Bildungsstandard und binden Finanzen, die anschliessend andernorts – meist an der Front – fehlen. Aus liberaler Sicht gilt es eine Flexibilisierung der Schulmodelle – Einschulungszeitpunkt, Zyklus 3, Sonderpädagogik – anzustreben und die Schulträgerschaft in ihrer grösstmöglichen Autonomie zu stärken. Das Bildungsdepartement soll sich auf Regelungen in Bereichen, die der kantonalen Steuerung bedürfen, beschränken und eine klare Aufgabenteilung zwischen Kanton und Gemeinden vorsehen. Ebenso muss die Rolle des Bildungsrates überprüft und neu diskutiert werden. Die FDP musste in der Vergangenheit immer wieder feststellen, dass dieser als Feigenblatt der Regierung hinhalten musste.

In diesem Sinne danken wir Ihnen für die wohlwollende Aufnahme unserer Anliegen und stehen bei Fragen gerne zur Verfügung. Gerne wird sich die FDP als Bildungspartei wie gewohnt im Rahmen der Vernehmlassung zur Totalrevision des Volksschulgesetzes sowie der parlamentarischen Beratung detailliert einbringen.

Freundliche Grüsse
FDP.Die Liberalen St.Gallen

Kantonsrat Raphael Frei, Parteipräsident
Kantonsrat Christian Lippuner, Fraktionspräsident